§ 87 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG): Mitbestimmungsrechte und Initiativrecht in sozialen Angelegenheiten
Der § 87 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ist ein Kernstück der Mitbestimmung im Betrieb. Er regelt, in welchen sozialen Angelegenheiten der Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht hat und stellt damit sicher, dass die Interessen der Mitarbeitenden bei zentralen betrieblichen Entscheidungen berücksichtigt werden. Neben dem Mitbestimmungsrecht räumt § 87 BetrVG dem Betriebsrat auch ein Initiativrecht ein, um eigene Vorschläge in den Mitbestimmungsbereichen einzubringen und den Arbeitgeber zur Verhandlung zu verpflichten.
Dies stärkt nicht nur die Position der Belegschaft, sondern fördert auch eine transparente und kooperative Zusammenarbeit im Betrieb. Für Arbeitgeber ist es unerlässlich, die Mitbestimmungsrechte ernst zu nehmen und Konflikte durch frühzeitige Einbindung des Betriebsrats zu vermeiden.
Rechtsgrundlagen der Mitbestimmung: Ihre Rechte und Möglichkeiten
Der § 87 BetrVG beschreibt die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in zehn Bereichen. Diese Rechte gelten, wenn keine anderweitigen gesetzlichen oder tariflichen Regelungen bestehen.
Ordnung im Betrieb (Nr. 1): Vorschriften zur Einhaltung von Ordnung und Verhalten der Mitarbeitenden, z. B. Regeln zur Nutzung von Betriebsräumen oder Verhaltenskodizes.
Arbeitszeitregelungen (Nr. 2): Beginn, Ende und Verteilung der Arbeitszeit sowie Pausenregelungen, z. B. Einführung von Gleitzeit oder Schichtplänen.
Überstunden (Nr. 3): Festlegung der Bedingungen für Mehrarbeit und deren Vergütung.
Arbeitsentgelt (Nr. 10 und Nr. 11): Regelung von Entlohnungsgrundsätzen, z. B. Prämien oder variablen Vergütungsmodellen.
Urlaubsgrundsätze (Nr. 5): Festlegung von Urlaubsregelungen, z. B. Betriebsferien oder Kriterien für die Urlaubsvergabe.
Einführung technischer Einrichtungen (Nr. 6): Einführung von Systemen, die das Verhalten oder die Leistung der Mitarbeitenden überwachen können, z. B. Zeiterfassungssysteme oder Videoüberwachung.
Gesundheitsschutz (Nr. 7): Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit der Belegschaft, z. B. ergonomische Arbeitsplätze oder Maßnahmen gegen Stress.
Betriebliche Weiterbildung (Nr. 7): Mitgestaltung von Schulungsprogrammen oder Weiterbildungsmaßnahmen.
Betriebliche soziale Einrichtungen (Nr. 8 und Nr. 9): Einrichtung oder Änderungen von Kantinen, Kinderbetreuungsangeboten oder Mitarbeiterrabatten.
Erzwingbares Mitbestimmungsrecht
Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG ist erzwingbar, d. h. der Arbeitgeber darf ohne die Zustimmung des Betriebsrats keine verbindlichen Maßnahmen ergreifen. Bei Meinungsverschiedenheiten kann die Einigungsstelle (§ 76 BetrVG) eingeschaltet werden, deren Spruch bindend ist.
Initiativrecht des Betriebsrats
Neben dem Mitbestimmungsrecht kann der Betriebsrat im Rahmen von § 87 BetrVG auch Initiativen ergreifen, um neue Regelungen vorzuschlagen oder bestehende Regelungen zu verbessern. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, über solche Vorschläge zu verhandeln. Dies ermöglicht dem Betriebsrat eine aktive Gestaltung betrieblicher Angelegenheiten.
Beispiel: Der Betriebsrat schlägt vor, flexible Arbeitszeitmodelle einzuführen, um die Work-Life-Balance der Mitarbeitenden zu verbessern.
Arbeitszeitregelungen (Nr. 2 und Nr. 3)
Mitbestimmung
Der Betriebsrat muss bei der Einführung von Gleitzeit, Schichtplänen oder der Anordnung von Überstunden zustimmen.
Beispiel: Der Arbeitgeber möchte die Arbeitszeiten in einem Produktionsbetrieb von einer Tages- auf eine Schichtarbeit umstellen. Ohne Zustimmung des Betriebsrats ist dies nicht zulässig.
Initiativrecht
Der Betriebsrat kann vorschlagen, flexible Arbeitszeitmodelle einzuführen, z. B. Homeoffice oder verkürzte Arbeitswochen.
Einführung technischer Einrichtungen (Nr. 6)
Mitbestimmung
Technische Systeme, die das Verhalten oder die Leistung der Mitarbeitenden überwachen, unterliegen der Mitbestimmung.
Beispiel: Einführung eines Zeiterfassungssystems, das Anwesenheits- und Pausenzeiten digital erfasst. Der Betriebsrat kann Datenschutzaspekte einbringen.
Initiativrecht
Der Betriebsrat kann die Einführung neuer Technologien vorschlagen, z. B. ein System zur anonymisierten Bewertung von Arbeitsplatzrisiken.
Urlaubsregelungen (Nr. 5)
Mitbestimmung
Festlegung von Grundsätzen für Urlaubspläne, wie Betriebsferien oder Kriterien für die Vergabe von Resturlaub.
Beispiel: Der Arbeitgeber möchte Betriebsferien einführen. Der Betriebsrat kann die Kriterien für die Urlaubsvergabe mitbestimmen.
Initiativrecht
Der Betriebsrat kann vorschlagen, zusätzliche freie Tage bei besonderen Anlässen einzuführen, z. B. für Eltern schulpflichtiger Kinder.
Lohngestaltung (Nr. 10 und Nr. 11)
Mitbestimmung
Regelungen zu Prämien oder Zuschüssen, wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld, erfordern die Zustimmung des Betriebsrats.
Beispiel: Der Arbeitgeber plant ein Bonusprogramm für bestimmte Zielgruppen. Der Betriebsrat kann sicherstellen, dass das Programm fair gestaltet wird.
Initiativrecht
Der Betriebsrat kann Vorschläge für einheitliche Prämienstrukturen oder zusätzliche Zuschüsse einbringen.
Gesundheitsschutz (Nr. 7)
Mitbestimmung
Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit am Arbeitsplatz, wie ergonomische Möbel oder Programme zur Stressbewältigung.
Beispiel: Einführung von Bildschirmarbeitsplatzbrillen. Der Betriebsrat kann die Kostenübernahme durch den Arbeitgeber einfordern.
Initiativrecht
Der Betriebsrat kann ein betriebliches Gesundheitsmanagement vorschlagen, einschließlich Workshops oder präventiver Maßnahmen.
Verhandlungen
Der Arbeitgeber und der Betriebsrat führen Verhandlungen, um eine Einigung zu erzielen.
Alle Entscheidungen in den mitbestimmungspflichtigen Bereichen müssen schriftlich dokumentiert werden, oft in Form einer Betriebsvereinbarung (§ 77 BetrVG).
Einschaltung der Einigungsstelle
Können sich Betriebsrat und Arbeitgeber nicht einigen, wird eine Einigungsstelle eingerichtet (§ 76 BetrVG).
Der Spruch der Einigungsstelle ist bindend und kann nur gerichtlich überprüft werden.
Rechtsfolgen bei Missachtung des Mitbestimmungsrechts
Unwirksamkeit von Maßnahmen: Entscheidungen des Arbeitgebers, die ohne Zustimmung des Betriebsrats getroffen werden, sind unwirksam.
Beispiel: Einführung eines Zeiterfassungssystems ohne Zustimmung des Betriebsrats kann von diesem gestoppt werden.
Einstweilige Verfügung: Der Betriebsrat kann beim Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung beantragen, um Maßnahmen des Arbeitgebers zu verhindern.
Bußgelder: Der Verstoß gegen Mitbestimmungsrechte kann gemäß § 121 BetrVG mit Bußgeldern geahndet werden.
Bedeutung des Initiativrechts
Das Initiativrecht des Betriebsrats ermöglicht es diesem, betriebliche Veränderungen aktiv zu gestalten, anstatt nur auf Vorschläge des Arbeitgebers zu reagieren.
Es trägt dazu bei:
Die Arbeitsbedingungen für Mitarbeitende proaktiv zu verbessern.
Innovative Ideen einzubringen, die den Betrieb zukunftsfähiger machen.
Eine ausgewogene Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu fördern.